Villa – Kohrs#

Zeit- und Augenzeugen berichten#

Hohenbucko, 17.04.2007

Seniorentreff Hohenbucko

In Vorbereitung einer Radwanderung von Mitgliedern des Seniorentreffs am 17.April 2007 zur „Villa“ wurden unten angeführte Zeitzeugen befragt. Nachfolgende Information konnten ermittelt werden:

Die »Villa« im Waldgebiet bei Hohenbucko#

Um die »Villa« im Waldgebiet bei Hohenbucko ranken sich viele wahre und erfundene Geschichten.

Die »Villa« gehörte der Familie Kohrs, einem privaten Grubenbesitzerehepaar, die im Lausitzer Kohlerevier die Grube »Maria« oder »Marietta« besaßen. Sie stammten ursprünglich aus Leipzig und hatten dort noch einen Wohnsitz. Herr und Frau Kohrs (Wilhelm und Hede) waren leidenschaftliche Jäger, die gerne zur »Villa« nach Hohenbucko kamen, um ihr Hobby auszuüben.

Ob sie während des II. Weltkrieges in Leipzig ausgebombt wurden oder wegen der Gefahr der Luftangriffe auf Leipzig sich häufig mit ihren Kindern (2 Mädchen) in Hohenbucko aufhielten, konnte nicht ermittelt werden.

Das Jagdhaus, im Volksmund die »Villa« genannt, war aus Holz und mit Klinkersteinen insgesamt unterkellert. Die »Villa« hatte eine große überdachte Veranda auf der Westseite. Der Bau war vermutlich dem Südstaatenstil der USA angelehnt. Der Grund und Boden, auf dem die Villa stand, gehört zur Naundorfer Flur. Vermutlich hatte die Familie Kohrs in dieser Flur einen Waldbesitz von über 100 ha als Jagdgebiet besessen. Ob auf dem Standort, bevor bevor die to Villa gebaut wurde, bereits ein Gebäude zur Jagdausübung gestanden hat ist nicht bekannt.

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Skizze vom Grundriß

Die Villa und das parkähnliche Grundstück wurde wahrscheinlich nach dem I. Weltkrieg (Alter der Kiefern und der Ahornarten im Park) gebaut bzw. angelegt. Auffallend war der Wandelgang um das Grundstück, der mit Bäumen bepflanzt war. Von diesem Wandelgang ist nur der nördliche Teil noch eindeutig nachweisbar. In diesem Wandelgang waren früher teilweise noch Pergolen und Rosentore vorhanden, die mit Kletterrosen bepflanzt waren. Eine große Windturbine, inmitten des Parkes stehend, sorgte für die Stromerzeugung für die Villa. Ebenfalls soll mit der Windturbine Wasser gepumpt worden sein.

Bei Windstille wurde ein hinter der Villa installiertes Notstromaggregat genutzt. Das Fundament dieses Aggregates ist heute noch eindeutig nachweisbar.

Auf dem Grundstück wohnten als ständiger Hausverwalter, zuerst Herr Willi Kunze und später Herr Laßmann, mit ihren Familien in einem Verwalterhaus, das nördlich von der Villa stand. Einzige Tochter von Herrn Laßmann ist in Hokhenbucko als spätere Frau Jackel bekannt. Weiterhin waren 2 Dienstmädchen bei Kohrs angestellt. Ein Dienstmädchen, die Grete, hat später Herrn Bruno Scholz aus Hohenbucko geheiratet.

Die Versorgung der Bewohner der Villa erfolgte von Hohenbucko aus (Bäcker, Kolonialwarenhändler, Fleischer u. a.), obwohl die Villa wie bereits erwähnt, in der Nauendorfer Flur stand. Aus den genannten Gründen fühlten sich die Bewohner der Villa mehr nach Hohenbucko hingezogen.

Weiterhin waren 2 Autogaragen vorhanden. Ein Auto wurde von einem festangestellten Fahrer gefahren.

Links des Weges von Hohenbucko gegenüber dem Villengrundstück war Acker. Er war eingezäunt und wurde für den Anbau von Schweinefutter (Winterroggen und Kartoffeln) genutzt. Hinter dem Verwalterhaus stand der Schweinestall, in dem Schweine gemästet wurden.

Neben den Schweinen wurden noch Hühner gehalten. Ebenso waren zeitweise Pferde vorhanden. Weiterhin sollen nördlich der Villa am Postweg Ackerflächen vorhanden gewesen sein, die ebenfalls von der Villa aus bewirtschaftet wurden.

Im Gelände der »Villa« war ein kleiner Fischteich aus Beton, der heute noch sichtbar ist. Der Villa gegenüber war ein großer Badeteich, der vom Besitzer und seinen Kindern zum Baden genutzt wurde.

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Fischteich, heute Lockfütterung für die Jäger

Auch Kinder aus Hohenbucko, die mit Kohrs Kindern befreundet waren, haben im Sommer manchmal dort gebadet. Die Grundmauern des Bades konnten trotz intensiven Suchens nicht mehr festgesteilt werden.

Am Ende des H. Weltkrieges fand im Gelände der Villa ein ummenschliches Drama statt, mit dem der Name der »Villa« in Hohenbucko für immer verbunden ist.

Am 20.April 1945 waren die Russen bis Hohenbucko vorgedrungen.

Die Hohenbuckoer waren zum großen Teil in Richtung Westen geflüchtet. Man wollte über die Elbe in den Einflußbereich der Amerikaner kommen. In der »Villa« haben sich ältere Bürger, Fremdarbeiter aber auch Kinder versteckt. Andererseits wollte man in der Nähe von Hohenbucko bleiben um das Vieh zu versorgen.

Als die Ankunft der Russen im Ort in der Villa bekannt wurde, nahmen das Ehepaar Lobisch (genannt die »großen Lobisch« , weil es noch die »kleinen Lobisch« gab) Gift, nach dem sie ihre 3 Enkelkinder und deren Pflegeschwester vergiftet hatten. Ihre Tochter war nach der Entbindung der Zwillinge an Kindbettfieber gestorben. Der Schwiegersohn‚ Max Paschke aus Kolpien stammend war im Krieg.

Weiterhin sollen sich 3 Angehörige der Familie Homagk vergiftet haben. Ein Junge aus dieser Familie soll das Gift nicht genommem haben und ist später nach Südafrika ausgewandert.

Herr und Frau Kohrs haben sich im Wald erschossen. Sie wurden auf dem Friedhof in Naundorf beigesetzt. Die Gräber wurden von Frau Hildegard Richter (Kohlen-Richter) noch jahrelang gepflegt

Was aus den Kindern der Familie Kohrs geworden ist, ist nicht bekannt.

Die »Villa« wurde am 21.April 1945 gegen 20:30 Uhr nach einer Schießerei von den Russen angezündet. Der Anlaß der Schießerei war die Vergewaltigung der Freundin eines polnischen Zwangsarbeiters durch einen Russen. Der Pole hatte den Russen mit einer Bierflasche auf den Kopf geschlagen.

Nach dem II.Weltkrieg wurden die Steine der »Villa« nach Naundorf zum Bau des Kindergartens abtransportiert. Im Hühnerstall soll zeitweilig Erich Stöber mit Familie und eine Ursula Beck gewohnt haben. Ursula Beck (war etwa 10 Jahre alt) ist in Hohenbucko zur Schule gegangen.

»Wir stehen hier an einem Ort, an dem vor fast genau 62 Jahren grausame Geschehnisse am Ende des II, Weltkrieges stattgefunden haben.«

(Dr. Hoske, am 17.April 2007)

Die Quelle vorliegender Informationen ist die Befragung noch lebender Zeitzeugen und die Besichtigung der Ruinen auf dem Grundstück.

Nachfolgend genannten Zeitzeugen gilt für ihre bereitwilligen Auskünfte unser herzlicher Dank.

  • Herrn Herbert Richter, Naundorf

  • Frau Ruth Wöhlecke, Hohenbucko

  • Frau Irmgard Hauptvogel, Hohenbucko

  • Herrn Ullrich Lehmann, Hohenbucko

  • Herrn Oswin Henning, Hohenbucko

Im Auftrage des Seniorentreffs

Dr. Armin Hoske

Nachtrag aus einem zweiten Bericht#

Aus dem ergänzenden Bericht von Mandfred Schmidt können den vorhergehenden Darstellungen die folgenden Anmerkungen hinzugefügt werden:

  • Die Schreibweise des Namens ist unklar, manchmal Kors oder auch Chors?

  • Der Vorbesitzer war ein Berliner Jäger mit Namen Schmidt.

  • Mit einem Notstromaggregat wurden 400 Glas-Akkus geladen, die der Stromversorgung in den Gebäuden dienten.

  • Für die Bergung der Leichen des Ehepaar Kohrs mußten Bäume gefällt werden? Neben dem Ehepaar Kohrs wurden neun weiteren Giftopfer erwähnt.